Mein eigener Weg

Sonntag-Nachmittag, draußen ist es kalt und regnerisch. Ich sitze gemütlich mit einem Buch und einem Glas Rotwein auf dem Sofa vor dem großen Wohnzimmerfenster und schaue in den winterlichen Garten. Ich lese ein Buch über die Erlebnisse des Autors auf dem Jakobsweg. Der Regen geht langsam in nasse Schneeflocken über, die anfangen, den Garten weiß zu färben. Meine Gedanken schweifen ab, sind weit weg im sonnigen Spanien, an meinen Füßen spüre ich plötzlich dicke, schwere Wanderstiefel und in meinem Kopf nimmt ein Gedanke langsam Gestalt an: Ich will auch den Jakobsweg gehen, will auch so etwas Außergewöhnliches erleben. Will mir beweisen dass ich mit mir allein sein kann, will eine Auszeit haben. 800 Kilometer ohne Terminkalender, ohne Besprechungen und ohne ständige Erreichbarkeit über das Handy.

Dann holt mich die Realität wieder ein. Wie lassen sich zwei Monate Wanderzeit mit Beruf und Familie in Einklang bringen? Ich bin ein unsportlicher Stadtmensch, bin ich dieser körperlichen und psychischen Herausforderung überhaupt gewachsen? Kann ich eine Zeitlang nur aus dem Rucksack auf dem Rücken leben und morgens nicht wissen wo ich abends übernachte. Und ist der Wunsch nach Nichterreichbarkeit nicht auch eine Last, komme ich ohne Familie, Freunde, Handy und Internet aus?

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Der Gedanke hat mich gepackt, lässt mich nicht mehr los. Ich suche nach Alternativen, die für mich realisierbar scheinen. Eine Alpenüberquerung? Von München nach Venedig? Meine Buchhandlung konnte mir eine ganze Reihe von Büchern dazu anbieten, mit dem Fahrrad und auch zu Fuß. Nach der Begeisterung kam eine gewisse Ernüchterung, das richtet sich ja doch mehr an "Powersportler“ und nicht an "Weicheier“ wie mich. Der bekannteste Weg ist der Fernwanderweg E5 und überwindet immerhin bescheidene 19.000 Höhenmeter.

Am Ende war es die Erkenntnis, dass eine Alpenüberquerung genau das richtige für mich ist, aber ich meinen eigenen Weg finden muss, der dem entspricht was ich kann und was ich will, nicht etwas nachlaufen was andere mir vorgemacht haben. Den Start habe ich von München nach Bad Tölz verlegt, denn ich hatte keine Lust in der Großstadt zu starten. Auch das Ziel habe ich mir eine wenig näher gesteckt, nach den Alpen noch durch die Ebene nach Venedig zu laufen, erschien mir wenig reizvoll, sodass ich meinen Weg in Verona beenden wollte.

Mein Routenplaner sagt mir, mit dem Auto sind das 400 km, das erschien mir geeignet. Da ich ja nicht an der Straße entlang laufen wollte, sind es natürlich einige Kilometer mehr, und so ergaben sich vier Teilstücke zu je ungefähr 125 km, ein Pensum das ich mir jeweils innerhalb einer Woche, mit An- und Abreise, gut vorstellen konnte. Damit war das Ziel für die nächsten vier Jahre gesteckt, zu Fuß von Bad Tölz nach Verona, alleine, über einen Weg den ich mir selbst zusammengestellt habe, der meinen Wünschen und meinem Können entspricht, ausgerüstet lediglich mit einem Rucksack, einem Wander-Navi und ganz viel Begeisterung.